Travel through the seas

Reisebericht der 2. Etappe

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VON ZEEBRUGGE BIS CALAIS

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Samstag, 10. August 2018: Jörg und ich treffen uns im Flughafen Zürich für den Flug nach Brüssel bzw. für unsere Reise nach Zeebrugge. Die Planung ist klar: Die erste Woche mit Jürg von Zeebrugge (B) bis Cherbourg (F) und in der zweiten Woche mit Ingrid von Cherbourg über Alderney (GB) und Guernsey (GB) nach Roscoff (F) ins Winterlager. Zudem müssen wir bis spätestens Ende August diese Route besegelt haben, damit wir die EU-MwSt nicht bezahlen müssen. Bekanntlich läuft bis dahin unser steuerfreier Aufenthalt von 18 Monaten im EU-Raum ab. 


Nun, die Anreise verläuft wie geplant und gegen 19:00 Uhr treffen wir bei der Nordlys im Vessel-Haven in Zeebrugge ein. Nach einem guten Nachtessen und dem obligaten "Schlummer-Trunk" ist Nachtruhe angesagt.


Am nächsten Tag arbeiten wir an der Nordlys, machen unsere Provianteinkaufe und beschäftigen uns mit der Detailplanung der ersten Etappe von Zeebrugge nach Calais.

In der Nacht auf Montag werden wir unsanft geweckt. Draussen zieht ein Tief mit Winden bis zu 25 kt über den Hafen. An ein Auslaufen gegen 05:00 Uhr ist nicht zu denken. Wir entscheiden uns, noch einen Tag zuzuwarten und erst am Dienstag mit auflaufender Tide und östlicher Strömung gegen 05:00 Uhr zu starten.

Es ist Dienstag in der Früh...und es ist durchaus von Vorteil, dass wir bei stockfinsterer Nacht auslaufen. Mit einem Reff 2 im Grosssegel und unter Motor erreichen wir nach 30 Minuten relativ ruhiger Fahrt die Hafenausfahrt von Zeebrugge. Uns empfangen 2,5 - 3m hohe Wellen im Abstand von ca. 3 Sekunden und mit einer Windstärke um die 20 kt genau gegenan...na super! Unsere Nordlys beginnt zu stampfen und kämpft sich tapfer durch die morgendliche Dämmerung. Wir nehmen westlichen Kurs durch das seichte Fahrwasser in Richtung Calais und folgen den schwach leuchtenden Tonnen. Von nun an befinden wir uns in der sog.  „Flandrischen Sende“, ein Seegebiet mit einer Tiefe zwischen 2 – 20 m über Kartennull, Sandbänke und zahlreichen Wracks. Dazwischen wird Sand und Kies gefördert bzw. ausgebaggert und der Fischfang mit Reusen ausgeübt....“Augen auf“ für die gesamte Crew!

Der Wind kommt immer noch aus 270° und genau dorthin wollen wir auch. Segeln ist unmöglich, also Motor weiterhin laufen lassen. Unter diesen Bedingungen macht unsere Nordlys nur knapp 3-4 kt Fahrt über Grund, anstatt der normalen guten 5-6 kt. Aufgrund des Seegangs und des anhaltenden Stampfens der Nordlys fühle ich mich zudem doch leicht „kotterig“. Bin wohl doch noch nicht wieder auf Seemannsbeinen. Dagegen hilft ein Ingwer-Tee (nach Rezept von Ingrid), viel Vitamin C und natürlich die „aufmunternden“ Sprüche meines Co-Skippers Jürg. Nach 8 h Fahrt - davon bereits 2 h gegen den Strom - entscheiden wir uns nach Dünkirchen abzudrehen und die dortige Marina anzulaufen, weil das enge Zeitfenster für die Schleuse im Hafen Calais erreichen wir wohl knapp nicht mehr.

Der Hafenmeister weist uns einen sehr zentralen und ruhigen Liegeplatz für eine Nacht zu. Während unserem Anlegebier stehen plötzlich acht französische Zöllner auf unserem Schwimmsteg und informieren uns höflich aber bestimmt, dass sie an Bord kommen für eine Kontrolle von Crew und Schiff....ach du Schreck! Diese verläuft jedoch ruhig und angenehm und nach rund 30 Minuten verlassen die Zöllner ohne Beanstandungen die Marina auf ihrem Patrouillenboot. Ein zweites Anlegerbier wird fällig!

Mittwoch, 15. August. Wie geplant legen Jürg und ich gegen 07:45 Uhr in der Marina „De la Mer du Nord“ ab und verlassen Dünkirchen. Es ist stark bewölkt und es „nieselt“. Die Sicht beschränkt sich auf ca. 4 sm und die Welle steht erneut bei 2-2,5m. Wir setzen zur Stabilisierung wieder ein Reff 2 im Grosssegel und fahren unter Motor in Richtung Boulogne-sur-Mer. Auch heute ist an ein Segeln nicht zu denken, denn der Wind kommt erneut mit ca. 15 – 18 kt aus 270°, wo wir ja hin wollen!


Nach ca. 6 h passieren wir Calais an Backbord und den querenden Fährverkehr voraus und fahren weiter Richtung „Cap Gris-Nez“. Das Wetter hellt etwas auf, der Schwell bleibt jedoch unangenehm hoch. Jürg und ich rechnen eifrig und unsere Befürchtungen bewahrheiten sich. Durch den andauernden Seegang brauchten wir - trotz hoher Motorenleistung - zu viel Zeit. Die Planung beim Wechsel der Strömung das Cap bereits passiert zu haben, geht nicht mehr auf. Wie erwartet kentert der Strom vor dem Cap und trifft uns ca. 2 sm davon entfernt, mit 2,8 kt „gegenan“. Zudem dreht der Wind mit uns auf 230°. Durch die daraus resultierenden Wellen von immer noch 2,5 m wird die Nordlys auf 0,5 kt über Grund abgebremst. Mit diesem Speed brauchen wir noch 4h bis zum Cap und weitere 6h bis zum Ziel in Boulogne-sur-Mer....na toll! Unter diesen Bedingungen verbleiben zwei Alternativen; Abdrehen nach Calais oder Abdrehen und Überqueren des Kanals und des Verkehrstrennungsgebietes nach Dover. Nach kurzer Analyse entscheiden wir uns zurück nach Calais zu fahren. Diese Bedingungen machen so keinen Spass.

Nun haben wir Welle, Strömung und Wind von hinten, also achterlich. Die Nordlys nimmt Fahrt auf und hält wacker 9 kt über Grund (Spitze bei 10,5kt). Die verbleibenden 10 sm bis Calais rauschen wir in gut einer Stunde ab.


Die Einfahrt in die Hafenanlage gestaltet sich aufgrund der hohen Dichte des Fährverkehrs schwierig. Nach knapp einer Stunde mit Kreisen und Warten vor der Hafeneinfahrt, erhalten wir über Funk und per Lichtsignal die Bewilligung bis vor die Schleuse zur Marina „Port de plaisance“ zu fahren und dort an einer Boje zu warten. Nach einer weiteren gefühlten Stunde, können wir schliesslich in die Marina einfahren und am Liegeplatz festmachen.

Dieses Mal ist nicht nur die Crew „geschaft“, sondern auch unsere Nordlys hat einiges abbekommen. Die Aufbauten am Heck für den Radar und den Windgenerator wurden bereits vor dem Cap Gris-Nez von Wind und Wellen demontiert, bzw. die Verstrebungen aus ihren Halterungen gerissen. Dies führte zu akrobatischen Reparaturarbeiten auf ca. 2 m über Deck. Schliesslich konnten wir mit diversem Tauwerk und über die Winschen die Stabilität der Aufbauten wieder herstellen. Zudem stellten wir beim Festmachen in Calais fest, dass die Holz- Abdeckung des Bugspriet abgerissen wurde. Nach einer grossen Pizza und einer Flasche italienischen Wein, fallen wir in den wohl verdienten Schlaf.

Donnerstag, 16. August 2018. Die Wetterprognosen sind nach wie vor schlecht. In den kommenden Tagen ändert sich die Wind-Stärke und vor allem die Wind-Richtung voraussichtlich nichts. Von Calais nach Fécamp und direkt weiter nach Cherbourg sind es noch rund 150 sm. Dies ist unter diesen Bedingungen mit der Nordlys innert 2 Tagen kaum realisierbar. Generell wird ein Erreichen der Kanalinseln und schliesslich unseres geplanten Winterlagers in Roscoff (nochmals 200 sm) - ohne Stress und in der zur Verfügung stehenden Zeit - schwierig. Kurz gesagt, Ingrid, Jürg und ich entscheiden uns für ein Verbleiben in Calais mit anschliessendem Rücktransport der Nordlys in die Schweiz. Obwohl uns dieser Entscheid schmerzt, ist er der Richtige. Die kommenden Wintermonate können wir für Reparaturen und Anpassungen der Aufbauten nutzen und zudem erledigt sich auf diesem Weg auch die Problematik der MwSt. An unserem Ziel der etappierten Durchquerung der Meere in den kommenden Jahren ändert sich ja nichts.

Jürg und ich nutzen den angefangenen Tag somit für Aufräumarbeiten und für die Organisation unserer Rückreise in die Schweiz. Einen Tag später verlassen wir um 08:30 Uhr unsere Nordlys und Calais und reisen mit einem grossen „Grinsen“ und mit neuen Erfahrungen mit dem TGV in Richtung Basel.